Vor einigen Wochen veröffentlichte die Handelszeitung ein Interview mit dem Internetkritiker Andrew Keen. Dieser holt darin zum Rundumschlag aus und liefert einige interessante Denkanstösse. Allerdings
trieft das Interview auch vor Kulturpessimismus und gibt dem Internet die Schuld für
Probleme, die schon viel länger existieren.
Gleich in seiner ersten Antwort behauptet Keen, dass das
Internet zu Ungleichheit führt und zur Zerstörung der Mittelschicht beiträgt.
Diese Aussage lässt er ohne Erklärung oder Belege stehen. Seine nächste These, dass das
Internet zu einem Wirtschaftssystem führt, in dem alles überwacht und
kontrolliert wird ist allerdings kaum abzustreiten. Hier hat er sicherlich Recht,
auch einige Abschnitte später, wo er erklärt, wie Internetfirmen aus unseren
Daten Geld machen. Er sagt, dass die meisten Menschen mit dieser Art der
Überwachung eigentlich nicht einverstanden sind, sie aber trotzdem akzeptieren.
Dieser Widerspruch zwischen Denken und Handeln besteht bei vielen Menschen. Immer
mehr sind sich der zunehmenden Überwachung bewusst, allerdings ist es doch sehr
mühsam, komplett auf Google, Facebook und ähnliche Dienste zu verzichten. Man
schliesst sich mit einem Boykott selber zu einem gewissen Grad von der
Gesellschaft aus. Gruppendruck und die Nützlichkeit der Dienste bringen die
meisten dazu, den Preis in Form ihrer persönlichen Daten zu zahlen. Dies dürfte
nicht zuletzt auch noch damit zu tun haben, dass sich wohl die wenigsten Leute
bewusst sind, welchen Wert schon vermeintlich banale Daten haben können.
Schnellere Computer und komplexere Auswertungstools erlauben es, immer mehr
Wissen aus angesammelten Informationen zu extrahieren. Schon aus reinen
Verbindungsdaten (beispielsweise wer hat wann mit wem wie lange telefoniert)
lassen sich unter Umständen Schlussfolgerungen machen, die viel mehr über den
Betroffenen aussagen als sich dieser bewusst ist.
Im nächsten Abschnitt verwechselt Keen dann die grundsätzlichen
Probleme unseres Wirtschaftssystems mit den Problemen des Internet.
„Der Kern
der digitalen Ökonomie ist, dass der Gewinner alles nimmt und neue Monopole
entstehen.“
Die Tendenz, dass sich Monopole bilden, die nach Belieben handeln
und sich über staatliche Regulierung hinwegsetzen gibt es nicht nur im
Internet. Die Tendenz zur Monopolisierung besteht in der auf Wachstum
angewiesenen Marktwirschaft seit eh und je. Zusammenschlüsse und
Firmenkäufe führen zu Effizienzsteigerung, dies erhöht zudem die
Eintrittsbarrieren für neue Konkurrenten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht
ist dies eine logische Vorgehensweise, aus Konsumentensicht ist sie weniger erfreulich. Allerdings hat die digitale Ökonomie in diesem Zusammenhang
sogar einen Vorteil gegenüber der traditionellen. Um mit digitalen Angeboten in
Märkte einzusteigen sind oft nur geringe finanzielle Mittel und kaum
Infrastruktur notwendig. Viele Internetunternehmen, die heute erfolgreich sind
haben mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln begonnen und konnten zu Beginn
schwindelerregende Wachstumsraten vorweisen. In diesem Punkt muss man Keen
allerdings auch Recht geben, wenn er relativiert, dass solche Geschichten doch
eher Ausnahmen sind.
Im Wesentlichen wird hier einmal mehr eine Technologie für
ein Problem verantwortlich gemacht, das schon immer existiert hat. Natürlich
kann das Internet diese Probleme verstärkt zur Geltung bringen, die Ursache ist es aber trotzdem
nicht.
„Als – ironischerweise – ehemalige Google-Mitarbeiter begannen, ein Programm anzubieten, das Werbeanzeigen im Netz blockiert, und ihre App für die Android-Plattform offerieren wollten, hat Google alles darangesetzt, diese App zu unterbinden. Das zeigt, dass Google seinen Einfluss in verschiedenen Märkten nutzt,
um sein Geschäftsmodell zu promoten. Das ist ein grosses Problem.“
Diese Aussage ist
eigentlich eine Kritik am unterregulierten Kapitalismus und hat nichts mit dem Bereich, in welchem
das Geschäftsmodell angesiedelt ist zu tun. Diese Aussage kann genauso über die
Rohstoff- oder Pharmabranche gemacht werden.
Dasselbe gilt für den Angriff auf Facebook und dessen Chef
Mark Zuckerberg.
„Zuckerberg spricht stets davon, wie er die Welt verbinden
will. Das macht er nur aus einem Grund: Damit sich jeder auf Facebook anmeldet
und so der Wert des Unternehmens noch weiter steigt.“
Dieser Vorwurf kann an
jedes profitorientierte Unternehmen gerichtet werden. Wer Profitmaximierung in
einzelnen Unternehmen kritisiert ist scheinheilig. Das Streben nach maximalem
Erfolg ist bei uns gesellschaftlich akzeptiert und wirtschaftspolitisch (mit
gewissen Einschränkungen) legitimiert. Wenn Facebook dieses „schleimig und
unehrliche“ Spiel mitspielt ist es noch lange nicht dessen Ursache.
Weiter gehts mit Kulturpessimismus. Die Argumentation, dass
durch Digitalisierung viele Jobs verloren gehen könnten ist sicherlich richtig.
Weiter behauptet Keen, dass durch die Digitalisierung „nur wenige“ neue Jobs entstehen.
Zwar ist ihm bewusst, dass die künstliche Intelligenz uns schon bald ein- und
überholen wird. Er sieht diese Entwicklung aber ausschliesslich als Bedrohung, insbesondere
für unsere Arbeitsplätze. Er kann sich nicht vorstellen, dass Menschen auch ein
glückliches Leben führen können wenn sie statt 9 nur noch 4 Stunden pro Tag im Büro verbringen. Er versucht, die Digitalisierung in unsere bestehende
Gesellschaftsordnung hineinzupressen, anstatt sie als Chance und Treiber einer
Weiterentwicklung zu sehen. Das Festhalten an Strukturen hat sich in der
Vergangenheit allerdings selten als gute Idee erwiesen. Im Zeitalter der
Industrialisierung hatten die Menschen zurecht Angst, ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen zu
verlieren. Dies ist zweifellos auch vielen widerfahren. Allerdings wurden auch
völlig neue Betätigungsfelder geschaffen, der Wohlstand und das Pro-Kopf-Einkommen nahmen deutlich zu und es
entstanden erste Gesetze zum Schutz der arbeitenden Bevölkerung.
Zunahme des Pro-Kopf-Einkommens, angetrieben durch die industrielle Revolution |
Die
Gesellschaft hat sich, angetrieben durch die Industrialisierung, in
verschiedenen Bereichen weiterentwickelt. Strukturwandel hat es immer gegeben
und es wird ihn immer geben. Natürlich kann man nicht mit Sicherheit davon
ausgehen, dass das Internet auch zu gesellschaftlichen Entwicklungen, die der Bevölkerung
zu Gute kommen führt. Man kann sich aber auch nicht gegen den Fortschritt
wehren. Wie Keen zu sagen
„Ich halte nichts von dem Argument, dass, nur weil es
in der Vergangenheit so war, es auch in der Zukunft so sein wird.“
ist ziemlich
arrogant und kurzsichtig.
Man wird den Menschen vermutlich nie oder noch lange nicht komplett
wegrationalisieren können, allerdings wird sein Anteil an der Wertschöpfung
abnehmen. Dies bringt natürlich gewisse Risiken. Unternehmen werden jedoch die
Menschen nur aus dem Herstellungsprozess entfernen, wenn sie damit effizienter
werden als sie es sonst wären, wenn also mit weniger menschlichem Input gleich
viel oder mehr Output generiert wird. Am Ende bleibt theoretisch mehr
Wohlstand, für den die Menschen weniger arbeiten müssen. In der Verteilung lauert
natürlich die grösste Gefahr, die Unternehmen werden versucht sein, möglichst
viel von diesem Kuchen bei sich zu behalten. Keens Kampf gegen Grosskonzerne
müsste eigentlich hier ansetzen und für eine gerechte Verteilung kämpfen
anstatt einzelne technologische Entwicklungen für Ungerechtigkeit in der
Gesellschaft verantwortlich zu machen.
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